Extremismusprävention im Lockdown: Online-Streetwork war noch nie so wichtig

Ein paar Clicks bis zu Hetze, Diskriminierung oder Extremismus. Besonders in Zeiten der Corona-Pandemie ist der Kampf gegen Extremismus in der sozialen Arbeit wichtiger denn je. Soziale Räume, in denen sich Jugendliche immer häufiger radikalisieren, sind soziale Medien. Soziale Kontakte werden aktuell weniger auf den Schulhöfen, sondern mehr via Whatsapp, Telegramm oder Insta gepflegt. Das wissen auch Extremisten und schneiden ihre Rekrutierungsstrategien passgenau darauf zurecht. Social Media gilt als Katalysator für Radikalisierungsprozesse- das zeigen neuste wissenschaftliche Erkenntnisse. Damit junge Menschen in dieser schwierigen Zeit nicht allein sind, ist es umso wichtiger sie in ihren virtuellen Sozialräumen abzuholen.
Als ein digitales Präventionsprojekt hat streetwork@online schnell und umfassend auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie reagiert. Online-Streetwork ist aufsuchende Sozialarbeit in den sozialen Netzwerken und im digitalen Raum beheimatet. Somit können die Online-Streetworker*innen optimal auf die besonderen Bedürfnisse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in dieser schwierigen Zeit eingehen. Während des Lockdowns arbeitet das Team aus dem Homeoffice und leistet wertvolle Jugendarbeit. Der intensive digitale Austausch im Team sichert die Qualität der Arbeit -trotz räumlicher Distanz. Das multiprofessionelle Team aus Psychologen, islamischen Theologen, Sozialarbeitern und Politikwissenschaftlern versucht in einem Safe Space den Kontakt zu den Jugendlichen über die sozialen Medien herzustellen, sie bei der Identitätsbildung zu unterstützen und ihr Reflexionsvermögen zu stärken.
„So kann es zum einen gelingen, über den Islam als friedliche Religion aufzuklären und damit den Extremisten, die die Religion ideologisch aufladen und als politischen Extremismus missbrauchen, zuvorzukommen“, erklärt Politikwissenschaftler Michael Bücker. „Durch solche wichtige Präventionsarbeit kann in Zeiten der Kontaktbeschränkung und des Lockdowns die Resilienz der Jugendlichen gegenüber islamistischem Extremismus gestärkt werden.“

Die Berliner Onlinestreetworker sind im Social Media aktiv und beugen mit eigenen Strategien einer religiös begründeten Radikalisierung vor. Wie das genau aussieht und welchen Herausforderungen sie sich stellen, erklären sie Interessierten und anderen Akteuren der Islamismusprävention in Online-Workshops und Fachvorträgen. Sie teilen ihr Knowhow im „Phänomenbereich Islamismus“ über „Online-Radikalisierungsprozesse im islamistischen Kontext“ bis zu „Online-Prävention und Grundlagen in der Praxis. „Unsere Weiterbildungsangebote haben das Ziel Fachkräfte, mittels theoretischer Grundlagen und praktischer Übungen, für die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen sensibilisiert und geschult werden. Der Fokus liegt dabei auf islamistischer Radikalisierung und Präventionsarbeit in virtuellen Communitys“, erläutert die Projektleiterin Behrens.


Über das Projekt

Streetwork@online ist ein Präventionsprojekt, welches durch aufsuchende Sozialarbeit in sozialen Netzwerken den Austausch mit jungen Menschen sucht. Das Projekt wird seit Oktober 2017 von der Landeskommission Berlin gegen Gewalt gefördert und hat den Fokus auf religiös begründeter Radikalisierung im islamistischen Kontext. Die Zielgruppe sind Berliner Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16-27 Jahren, die sich in Communities aufhalten, in denen islamistische Inhalte verbreitet werden, oder die selbst bereits islamistische Einstellungen vertreten Dabei kann das Projekt im Bereich der Sekundärprävention verortet werden.

Streetwork@online geht davon aus, dass Radikalisierungsprozesse eng mit der Suche nach Identität verbunden sind. In den sozialen Netzwerken stellen Jugendliche Fragen zu komplexen Themen, auf die islamistische und andere radikale Gruppierungen einfache Antworten bieten.

Mit aufsuchender Sozialarbeit in den sozialen Netzwerken (Online-Streetwork), der Plattform Iam-street Berlin und Workshops für Multiplikator*innen soll eine demokratische Debattenkultur und Medienkompetenz gefördert werden.

streetwork@online vertritt AVP e.V. als Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx) und engagiert sich im Arbeitskreis Onlineprävention im Phänomenbereich religiös begründeter Extremismus der Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein e.V. (TGS-H).

streetwork@online ist die erste
Berliner Dependance von AVP e.V.

Warum dieses Projekt

Die sozialen Netzwerke sind ein wichtiger Faktor in der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft. Anstatt eine einheitliche, eng vernetzte globale Welt zu fördern, formieren sich in den sozialen Medien zahlreiche einzelne Communities. Diese bilden sich auf Grund einer gemeinsam geteilten Identität. Sie kann sowohl auf einer politischen oder religiösen Überzeugung als auch auf gemeinsamen Interessen (bspw. Hip-Hop-Musik, Videospiele, uvm.) beruhen. Innerhalb der Communities wird durch geteilte Inhalte miteinander kommuniziert; dabei entstehen häufig eigene Sprachen (bspw. durch Wörter der Jugendsprache und Emoticons), die das Gemeinschaftsgefühl stärken.

Medienspezifische Phänomene, wie bspw. Filterblasen und Echokammer-Effekte, begünstigen eine Abgrenzung dieser Gruppe von der Außenwelt. Die Gruppe ist in der Folge weitgehend auf sich selbst bezogen; Meinungen werden verstärkt und wiederholt, abweichende Positionen abgelehnt.

Themen und interne Debatten folgen dort häufig einer Eigenlogik, die nur von den Teilnehmenden selbst verstanden werden kann. Die Meinungsbilder, die darin entstehen, prägen außerdem die Sicht auf und das Verhalten in der Außenwelt. So können Jugendliche in den Online-Communities sowohl eine gefestigte Identität als auch ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln: sie finden ihr digitales Zuhause.


Online-Streetwork

Online-Streetwork ist aufsuchende mobile Sozialarbeit mit dem Ziel, Menschen in problematischen Lebenslagen in deren Lebens- und Sozialraum anzutreffen, proaktiv anzusprechen und niedrigschwellige Hilfestellung anzubieten. Online-Streetworker*innen suchen – analog zu ihren Kolleg*innen offline – den Kontakt mit der Zielgruppe auf den digitalen Straßen ihrer Online-Lebenswelt. Es werden zwei Ansätze unterschieden: Content based Online-Streetwork bezeichnet die Kontaktaufnahme durch eigene Inhalte, wie Videos, Bilder oder Texte via Facebook, Instagram und TikTok. Non content based Online-Streetwork beschreibt die proaktive Ansprache der Zielgruppe direkt in den sozialen Netzwerken bspw. durch Beiträge in Kommentarspalten oder Einzelchats.
streetwork@online arbeitet mit beiden Ansätzen: die weiter unten beschriebene Plattform Iam-street Berlin verfolgt mit narrativen Videos den content based Ansatz. Die Präsenzen von Online-Streetwork auf Facebook und Instagram und die dazugehörigen Profile der Online-Streetworker*innen bilden mit dem non-content based Online-Streetwork den Kernbereich ihrer Arbeit ab.

Die Ansprache kann sich an einzelne oder mehrere Jugendliche richten – bspw. an solche, die aktiv in Gruppen kommentieren, aber auch an die sog. „stillen Mitleser*innen“. Dabei agieren die Online-Streetworker*innen einzeln („one-to-many“) oder gemeinsam („many-to-many“). Es erfolgt außerdem eine direkte Ansprache in den Kommentarspalten, mit dem Ziel das Gespräch im Einzelchat („one-to-one“) zu führen, um so in einem geschützten Rahmen spezifischer auf die Bedürfnisse der einzelnen Personen eingehen zu können.

Ihr findet uns bei:

Facebook / Instagram / TikTok


Iam-street Berlin

Ausgehend von der Internetplattform Iam-street Berlin wurden Videos sowie Text- und Bildmaterialien veröffentlicht. In den narrativ-erzählenden Videos kommen starke Persönlichkeiten zu Wort, die mit ihren Lebenswegen – Erfahrungen, Zielen, Leidenschaften aber auch Ängsten – Jugendliche inspirieren sollen, den eigenen Weg zu gehen.

Iam-street Berlin in den sozialen Netzwerken:

YouTube / Facebook / Instagram


Workshops für Multiplikator*innen:

streetwork@online bietet Workshops für Menschen an, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten. Fachkräfte sollen mittels theoretischer Grundlagen und praktischer Ansätze für die Arbeit mit jungen Menschen sensibilisiert und geschult werden. Der Fokus dabei liegt auf Online-Radikalisierungsprozessen und Ansätzen der Prävention im Phänomenbereich religiös begründeter Extremismus.

In den vergangenen Jahren fanden Workshops in Kooperation unter anderem mit Strohhalm e.V., Ipso gGmbH, Transaidency e.V., Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), der Bundeszentrale für politische Bildung, verschiedenen Medienkompetenzzentren in Berlin, uvm. statt.

Seit 2020 erfolgen die Workshops vorrangig online in vier Modulen. Hier eine Übersicht:

Modul 1: Sozialraum Social Media
Modul 2: Phänomenbereich Islamismus
Modul 3: Online-Radikalisierungsprozesse
Modul 4: Online-Prävention


Wer wir sind?

Das Team von streetwork@online kombiniert Fachwissen und Erfahrung aus den Bereichen Soziale Arbeit, Islamwissenschaften, Kultur- und Medienpädagogik, Theologie, Philosophie und Politikwissenschaften zu einem innovativen Ansatz. Unterschiedliche kulturelle und religiöse Prägungen ermöglichen uns einen empathischen und respektvollen Zugang zur Zielgruppe.

Das Projekt wird durch verschiedene Expert*innen aus den Bereichen (systemische) Beratung und Islamische Theologie beraten.

Um auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse aus der Präventionsarbeit zu bleiben und aktuelle Debatten im Themenfeld aktiv mitzugestalten, nimmt das Team regelmäßig an Fachtagungen und Fortbildungen teil.

Presse und Publikationen

Evaluierung streetwork@online – Abschlussbericht. Ergebnisse der externen Evaluierung im Zeitraum von Juni bis Dezember 2021. Durchgeführt von CAMINO. Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH.

praxisorientierte Handreichung zu Online-Strategien und Herausforderungen der digitalen Präventionsarbeit Broschuere_OnlineStreetwork

Interview zum Thema „Aufsuchende Sozialarbeit in Social Media“ mit dem Infodienst Radikalisierungsprävention (bpb), 2019 Interview / Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb

Artikel „Schwester, wir müssen reden“ (von Ralf Pauli) im fluter – Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, Ausgabe 75 (Thema: Terror), 2020 Artikel / fluter – Magazin der bpb

Fact Sheet „Sozialraum Social Media – Radikalisierungsprozesse und Identität online“ Fact Sheet PDF

Kontakt

Tel: 030 – 4998 2300
Mail: info@streetwork.online info@streetwork.online
Web: www.streetwork.online www.streetwork.online